Sep 10 — Oct 26, 2013, von Bartha Basel
Man mag sich nicht ausmalen, wie oft der Gärtner von Philipp Johnson wohl morgens die toten Vögel einsammeln musste, die sich an den Scheiben des legendären „Glass House“ das Genick gebrochen hatten. Der elegante Bungalow, den Johnson 1948 auf dem Höhepunkt der heroischen Phase des Modernismus in die lichte Parklandschaft von Connecticut gesetzt hatte, gehört bis heute zu den Ikonen einer Architektur des fliessenden Raumes. Völlig transparent – bis auf eine gemauerte Nasszelle im Innern – simuliert der Bau die endgültige Aufhebung der Grenzen zwischen Architektur und Landschaft. Ein trügerisches Versprechen. Denn tatsächlich erweist sich die unsichtbare Wand immer auch als perfide Beschränkung eben jener Freiheit, die zu ermöglichen sie vorgibt.
Man könnte es die Tücke der Transparenz nennen, der Boris Rebetez mit seiner Skulptur „Topique Nr. 2“ thematisiert. Ausgangspunkt der Arbeit ist eine dieser coolen Glasarchitekturen im Johnson-Look, die der jurassische Künstler auf das Format eines Vogelhäuschen schrumpfte und als Opener zu seiner Ausstellung „Sydrome temporel“ in der Galerie von Bartha präsentierte. Aufgebockt auf einem dreibeinigen Gestell wirkte sie hier wie ein Kommentar auf die Schizophrenie moderner Architektur, die in ihrem widersprüchlichen Streben nach Offenheit und Geborgenheit, Freiheit und Kontrolle die super-schicke Voliere als Idealform des Wohnens hervorgebracht hatte.
Boris Rebetez beschäftigt sich in seiner künstlerischen Arbeit seit langem mit Räumen des Übergangs. Nicht selten geistern auch längst vergessene Utopien durch sie hindurch. In Skulpturen, Collagen und Zeichnungen erkundet er ihre architektonischen Qualitäten, spürt ihren sozialen und politischen Funktionen nach und fragt nach ihren physischen Wirkungen auf den Körper. Es sind oft unscheinbare Orte, denen sein Interesse gilt: Passagen, Treppenhäuser, Unterführungen, Eingangsbereiche – Zwischenräume also, die unterschiedlliche Orte miteinander verbinden und dadurch eine Bewegung auslösen, ohne je selbst Ziel dieser Bewegung zu sein. Die Leere zwischen Innen- und Aussenraum ist das Material, mit dem Rebetez arbeitet. Was ihn reizt, ist die Aktivierung ihrer transitorischen Aspekte in der abgesicherten Umgebung des Ausstellungsraums.
In der Galerie von Bartha entwarf er dafür ein weitläufiges Setting aus architektonischen Einbauten und skulpturalen Objekten, die in präzise austarierten Beziehungen den Raum als einen durch Zeit und Bewegung verursachten Zustand ständiger Veränderung erfahrbar machten.
Exemplarisch kann dafür das spektakuläre Mobile „Anachronos“ aus mit Sonnenschutzfolie verspiegelten Aluminiumquadern stehen, das Rebetez hier seine Kreise ziehen liess. In stiller Bewegung reflektierte die ausgreifende Installation das dynamische Verhältnis zwischen Objekt, Raum und Betrachter in immer neuen Konstellationen. Eine ähnlich vielschichtige Beziehung thematisierte auch die Arbeit „Stratus“. Aus quadratischen, eloxierten Aluminiummodulen zu einer horizontalen Struktur zusammengesteckt, schwebte sie hier wie eine dünne Wolke unter dem Deckenlicht als frei kombinierbares Modell der Diffusion zwischen Architektur und Natur, Skulptur und Design. Die historische Dimension seines Settings markierte Rebetez durch zwei massive Bauvolumen. Neben einem akkurat aus Backsteinen und Spanplatten geschichteten Mauersockel („Socle“), der als künstliches Ruinenfragment den fiktiven Raum zwischen dem Entwurf eines Baus und seinem Verfall – oder auch: zwischen der Utopie und ihrem Scheitern – öffnete, markierte das Zentrum des Galerieraums eine geschwungene, schwarz gekachelte Architektur („Folly“) in der Anmutung eines Hauseingangs zu einem modernistischen Wohnblock der Zwanzigerjahre.
Eine ähnliche Durchgangssituation mit gekachelten Wänden hat Boris Rebetez in seiner Aquarell-Serie „Calendrier“ festgehalten, die den erzählerischen Rahmen seiner Ausstellung bildete. Anknüpfend an seine 2011 realisierte Dia-Projektion „Le logis ou le secret identitaire“, zeigen die 13 grossformatigen Kalenderblätter Ansichten aus den Brüsseler Gartenstädten Floréal und Le Logis. Die beiden Siedlungen, 1921 von den Architekten Louis van der Swaelmen und Jean-Jules Eggericx entworfen, waren von den Ideen des britischen Sozialreformers Ebenezer Howard inspiriert, folgten dessen Konzept der isolierten, genossenschaftlich organisierten Kleinstadt vor den Toren urbaner Zentren jedoch nur bedingt. Mit ihren „quartiers-jardins“ hatten Swaelmen und Eggericx eher eine „organische Urbanisierung“ der Vorstadt im Sinn, die Architektur und Natur, urbanes Wohnen und ländliches Grün in Einklang bringen sollte. Boris Rebetez’ Aquarelle fokussieren diese Zonen des Übergangs von heute aus. Zu sehen sind ruhige Strassen, von sauber beschnittenem Buschwerk gesäumte Einfahrten, zaunlose Vorgärten – und wie es sich für einen Kalender Utopias gehört herrscht das ganze Jahr über Sommer. Der kalkulierte Flirt zwischen Stadt und Natur erscheint in diesen Aquarellen als eine homogene Idylle, die den Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen sowohl zum Nutzniesser als auch zum Gefangenen einer kontrollierten, bis ins letzte Detail durchgestalteten Ordung eines vorgeblich besseren Lebens macht. Die Gleichförmigkeit dieser Wohnutopie erzeugt ein Gefühl der Lähmung. Die Zukunft scheint hier ausgebremst, irgendwo versickert in der Fiktion jenes 13. Monats, der wiederum das Relikt einer gescheiterten Utopie ist. 1849 hatte der französische Philosoph Auguste Comte eine Reform des Gregorianischen Kalenders angeregt, um die Zeitrechnung aus ihrer christlichen Tradition zu befreien. Sein Kalender sah die Aufteilung des Jahres in 13 Monate zu je 28 Tagen vor. Am verbleibenden, namenlosen „Jour blanc“ sollten die Menschen den Toten gedenken. Rebetez’ Aquarelle wirken, als seien alle an diesem Tag entstanden.
Dieter Roeschmann, Kunstkritiker Freiburg