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VOM ORT DES KUNSTWERKS

Barbara von Flüe
„Der Raum, in dem wir leben, durch den wir aus uns herausgezogen werden, in dem sich die Erosion unseres Lebens, unserer Zeit und unserer Geschichte abspielt, dieser Raum, der uns zernagt und auswäscht, ist (...) ein heterogener Raum. Anders gesagt: wir leben nicht in einer Leere, innerhalb derer man Individuen und Dinge einfach situieren kann. Wir leben nicht innerhalb einer Leere, die nachträglich mit bunten Farben eingefärbt wird. Wir leben innerhalb einer Gemengelage von Beziehungen, die Platzierungen definieren, die nicht aufeinander zurückzuführen und nicht miteinander zu vereinen sind.“ Michel Foucault, „Andere Räume“, in: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Hrsg. von Karlheinz Barck. Leipzig, 1992, S. 38 (Ausschnitt).

Boris Rebetez beschäftigt sich in seiner künstlerischen Arbeit mit dem Raum. Meist sind es periphere Situationen, die ihn interessieren: Orte, an denen Stadt und Landschaft, Architektur und Natur aufeinander treffen und sich zu einem komplexen, vielschichtigen Ganzen verdichten. Seine Aufmerksamkeit richtet sich auch auf halböffentliche Räume wie Innenhöfe, Treppenhäuser oder Vortragssäle, die zwischen innen und aussen changieren und verschiedene Funktionen in sich vereinen. Er untersucht ihre räumliche und architektonische Qualität, fragt jedoch immer auch nach unserer subjektiven Wahrnehmung und Erfahrung, nach dem erlebten und verinnerlichten Raum. Mittels Zeichnungen, Collagen und Skulpturen untersucht er unsere Umgebung, legt Schichtungen frei und sucht nach Bildern, die die Komplexität der Gegenwart reflektieren. Seine Untersuchungen beziehen seit einiger Zeit auch den Ausstellungsraum mit ein. Das Ineinandergreifen von Werk und Raum zeigt sich in skulpturalen Arbeiten, die in ihrer reduzierten Formensprache an die Minimal Kunst erinnern und mit einfachen Gesten in den Realraum eingreifen. Auch die Einzelausstellungen, die Boris Rebetez in den vergangenen Jahren einrichten konnte, zeigen nicht so sehr einzelne Arbeiten, sondern sind vielmehr als komplexe Systeme aus Bezügen angelegt, in denen das einzelne Werk – Collage, Objekt, Zeichnung, Skulptur – Teil einer fiktiven Geschichte wird. Der Raum des Museums wird dabei in das künstlerische Konzept miteinbezogen. Dies gilt insbesondere für die installativen Arbeiten, die der Künstler in Auseinandersetzung mit den jeweiligen Ausstellungsräumen entwickelt. Mit ihnen entfernt sich Boris Rebetez von einem in sich geschlossenen, statischen Werkbegriff und findet zu künstlerischen Formen, die sich in der Interaktion zwischen dem Objekt und seiner physischen Verortung artikulieren.

Pavillon ist für seine Ausstellung im Museum für Gegenwartskunst in Basel entstanden. Boris Rebetez hat das sechseckige Volumen des ebenerdigen Ausstellungsraumes massstäblich verkleinert und sozusagen in Modellform nachgebaut. Die Arbeit besteht aus zwei ineinander geschobenen Teilen. Während das eine, geschlossene Volumen direkt auf dem Boden steht, ist die daran angedockte, zum Raum hin offene Struktur etwas erhöht. Die Skulptur nimmt fast die ganze Raumhöhe ein und ist so platziert, dass sie sich in das architektonische Volumen des Ausstellungsraumes einschreibt. Der geschlossene Teil schiebt sich unter den niedrigeren Raumteil, während die terrassenartige Plattform in den Bereich der kuppelartigen Öffnung vorstösst. Wie ein Echoraum nimmt die Arbeit die architektonischen Qualitäten des Umraums auf; die Architektur wird Modell und Skulptur. Mit dem Pavillon zitiert Boris Rebetez nicht nur eine traditionsreiche Architekturform, die in der Gartenkunst des Barock als isolierter Baukörper prototypisch für die Vermittlung zwischen Architektur und Natur steht. Er hebt durch die Aktualisierung dieses Typus auch die spezifischen räumlichen Gegebenheiten des Museums hervor: Die Verbindung zwischen einem geschlossenen, fast garagenartig tiefer liegenden Innenraum und einer Öffnung nach Draussen, zur städtischen Natur hin in Form eines überhöhten Foyers und einer Glasfassade.
Der Bezug zwischen Skulptur und Ausstellungsraum erschöpft sich jedoch nicht in dessen massstäblicher Verkleinerung. Die Arbeit greift in ihrer Grösse und formalen Gestalt in den Realraum ein, unterteilt ihn und bekommt architektonische Qualitäten, schafft Zwischenräume, Gänge und fensterartige Durchblicke. Sie wird nicht nur visuell, sondern auch mit dem Körper wahrgenommen, kann umkreist, begangen und bestiegen werden. Gerade diese doppelte Wahrnehmung verdeutlicht die architektonische Dimension der Installation. Während der Betrachter im geschlossenen Volumen von der Skulptur umfangen wird und deren Begrenzungen die Erfahrung des physischen Aufenthaltsortes verstärken, öffnet sich ihm auf der höher gelegenen Plattform freie Sicht auf den Ausstellungsraum und den Eingangsbereich des Museums.(1) Von hier aus tritt weniger die Skulptur, als vielmehr der Umraum ins Blickfeld und damit überhaupt erst ins Bewusstsein des Betrachters. Dieser Aspekt wird verstärkt durch die Bildhaftigkeit der Durchblicke, die sich zwischen den einzelnen Stützen öffnen und sich je nach Standpunkt des Betrachters verändern. Spätestens jetzt entpuppt sich die Arbeit von Boris Rebetez als Struktur, die selbst gesehen werden kann, die jedoch umgekehrt auch zu sehen gibt. In dem Moment, in dem der Betrachter die Installation betritt und sie sich körperlich aneignet, wird er in einem gewissen Sinne zu deren Benutzer. Es ergibt sich eine irritierende Verdoppelung: Der Betrachter begeht einen Raum im Raum, wobei die beiden Räume aufeinander bezogen sind und sich gegenseitig verstärken.
Gleichzeitig kommt es zu einem Rollentausch: Befindet sich der Betrachter in der Skulptur, ist er nicht mehr länger nur Zuschauer, sondern wird selbst Teil der Ausstellung – er findet sich wieder in der Rolle des Zur-Schau-gestellten Betrachters. „The idea was to turn the spectator into a part of the exhibition – as soon as you entered the pavilion you found yourself exposed just like its architecture had its inside exposed. It created a kind of schizophrenia between the space you discover and the other architecture, which is quite similar but at the same time strange.“ (Boris Rebetez)(2)

Das Dispositiv erinnert an die Pavillons von Dan Graham, Arbeiten, die ein Spiel um Fremd- und Selbstbeobachtung provozieren und für die installative Arbeit von Boris Rebetez aufschlussreich sind. Grahams Pavillons sind als begehbare Skulpturen im Aussenraum aufgestellt und thematisieren mit halbverspiegelten Glasflächen die Verschränkungen von Innen- und Aussenraum. Die semitransparenten Spiegelflächen reflektieren die Umgebung und verbinden die Skulptur unmittelbar mit ihrem Umraum, eröffnen jedoch auch Durchblicke auf andere (sich selbst wahrnehmende) Betrachter. Die Skulptur aus getöntem Spiegelglas, die Boris Rebetez für dieselbe Ausstellung realisiert hat, nimmt die Thematik der installativen Arbeit auf und führt sie weiter. Suprême besteht aus übereinander gelagerten, rechteckigen Volumen, die in ihrer spezifischen Materialität an Fassaden von Bürogebäuden der 70er und 80er Jahre erinnern. Die Einfachheit ihrer Form rückt die Beziehung zum Raum und zum wahrnehmenden Subjekt in den Vordergrund. Die Veränderungen, die sich durch die wechselnden Lichtverhältnisse sowie die Bewegung des Betrachters ergeben, werden in der Skulptur von Boris Rebetez zum Thema durch den Einsatz von Spiegeln – der Akt des Sehens wird im gesehenen Objekt sichtbar.(3) Die Skulptur hat eine irritierende Präsenz: Sie weist zwar klar begrenzte geometrische Formen auf, ist in ihrer volumetrischen Einheit jedoch nicht fassbar. Die Grenzen zwischen Objekt und Umraum werden fliessend, der Raum dringt in die Arbeit ein. Sie saugt ihre Umgebung regelrecht in sich auf und tendiert, im Verweis von sich weg auf das Andere, zur Auflösung. Suprême greift in einer reduzierten Geste – wie ein Schnitt (4) – in den Raum ein, bricht dessen Geschlossenheit auf und eröffnet ein komplexes Gefüge aus unterschiedlichen Realitätsebenen. Die Brüche und Faltungen des Raumes werden an den Objektkanten, wo Spiegel und Gespiegeltes sich kreuzen, sichtbar. Die Skulptur fungiert dabei als Multiplikator: Sie splittert den Raum in eine Vielzahl von Möglichkeitsräumen auf und verweist auf ein Potential der Reflexion, ohne dieses selbst auszuschöpfen. Denn wer oder was sich in ihr spiegeln wird, lässt sich zum Zeitpunkt ihrer Installation nicht sagen. Sie wird zum Gefäss für eine Erfahrung, deren Gehalt sie gerade nicht in Form einer ausformulierten Option vorwegnimmt.

Während Suprême unabhängig vom Ausstellungsraum existiert und die kontextbezogenen Qualitäten der Skulptur auch an einem anderen Ort aktiviert werden,(5) ist Pavillon eng mit den Räumen der Ausstellung verbunden. Die Arbeit reflektiert den Ort, für den sie entstanden ist. Sie bündelt und visualisiert dessen räumliche Qualitäten, die in der Begehung körperlich und visuell erfahrbar werden. Auch Forteresse, eine skulpturale Arbeit, die 2007 für „Etablissement d’en face projects“ in Brüssel entstanden ist, hat ortsspezifischen Charakter. Boris Rebetez ist von den Gegebenheiten des Ausstellungsortes ausgegangen und hat ein Werk realisiert, das sich auf unauffällige und selbstverständliche Weise in den bestehenden Raum einschreibt. Die beiden Geschosse sind für eine vorausgegangene Ausstellung durch eine quadratische Öffnung im Boden miteinander verbunden worden. Boris Rebetez lässt die Räume für seine Ausstellung nicht in ihren Normalzustand zurückbauen, sondern nimmt das Loch im Boden als Ausgangspunkt für seine eigene Arbeit. Er realisiert eine sich über beide Niveaus erstreckende Skulptur, die im Untergeschoss durch eine ausgreifende, aus einer Vielzahl kleinerer und grösserer Quadrate und Rechtecke bestehenden Sockelzone mit dem umliegenden Raum verzahnt wird. Von da ausgehend strebt sie nach oben, durchbricht sozusagen die Decke, um sich gegen oben hin in einem gegenläufigen System aus Rechteck- und Quadratformen zu verjüngen und gegen den bestehenden Unterzug zu stossen. Mit Forteresse schafft Boris Rebetez eine skulpturale Intervention in die bestehende Architektur, greift mit einer einfachen Geste in die räumlichen Verhältnisse ein. Der Eingriff ist auf den ersten Blick so zurückhaltend, dass sich die Skulptur mit der Architektur verbindet und als funktionales Element unsichtbar wird. Die Verjüngung im oberen Bereich findet ein Echo in den im Raum vorhandenen Stuckaturen und wird als dekoratives Säulenornament gelesen. Was hier passiert, ist paradox: Das Kunstwerk, das gezeigt wird, schreibt sich auf eine so konsequente Weise in seinen Ort ein, dass es verschwindet; oder anders formuliert: Der Ort selbst, das, was man im ersten Moment als Leere wahrnehmen wird, wird Teil des eigentlichen Kunstwerkes.
Bei längerer Betrachtung tritt der ambivalente Status von Forteresse in den Vordergrund. Unsicherheiten bezüglich des Massstabs treten auf – wie gross ist, was hier gezeigt wird? Ist es Architektur, Skulptur, oder ist es Modell? Verweist es auf Architektur der Macht, wie der Titel suggeriert? Die Arbeit lässt alle Möglichkeiten offen und fungiert als „Shifter“(6) des Räumlichen, indem sie Gattungsgrenzen überschreitet und zwischen Skulptur und Architektur oszilliert. Wie die Architektona von Kasimir Malewitsch, auf die sich der Künstler mit seiner Arbeit bezieht, besitzt Forteresse eine reale Grösse, zu der sich der Betrachter räumlich verhalten kann. In ihrer Modellhaftigkeit verweist sie jedoch gleichzeitig auf einen anderen Massstab; damit verändert sich auch die Distanz zum Betrachter. Als „Shifter“ – zwischen den beiden Welten hin und her pendelnd und auf beide verweisend – macht sie den Sprung in Massstab und Distanz in der Wahrnehmung erfahrbar.(7) Wesentliches Moment dieses Kippeffekts ist die Lichtführung, die Boris Rebetez in seine künstlerischen Überlegungen miteinbezieht. Dies zeigt sich effektvoll in der Sockelzone im Untergeschoss, wo das tektonische Gefüge einzig durch das von oben hereinfallende natürliche Licht erhellt wird und den Veränderungen des Tagesverlaufs ausgesetzt ist. Es schafft kontrastreiche Zonen und verstärkt den impressionistischen Charakter, der in der fotografischen Abbildung noch akzentuiert wird.(8) In ihrer wirkungsvollen Inszenierung weckt Forteresse Erinnerungen an utopische Architekturentwürfe, wie sie in Science-Fiction Filmen der 20er und 30er Jahre eingesetzt wurden.

Prozess- und kontextorientierte Strategien, wie sie für die oben beschriebenen Arbeiten wirksam sind, bestimmen auch Boris Rebetez’ Installation im Kunstmuseum Solothurn. Grand Hall ist keine abgeschlossene Arbeit, die der Künstler in die Räume des Museums platziert; sie realisiert sich vielmehr prozesshaft im Sinne einer ständigen Interaktion zwischen Werk und Ausstellungsort. Der Raum ist nicht Rahmen oder Hintergrund für das Werk, sondern wird aktiviert und in das künstlerische Konzept miteinbezogen. Dabei gleicht die Vorgehensweise des Künstlers der Arbeit eines Archäologen: Er untersucht den gegebenen Ort und legt verborgene Schichten frei, analysiert räumliche Phänomene und deckt Zusammenhänge auf. Seine eigene Arbeit schreibt er so in die bestehenden Verhältnisse ein, dass sie diese sichtbar macht oder – im Falle von Grand Hall – sogar verstärkt in den Vordergrund rückt. Entgegen der Ideologie des White Cube, der als möglichst neutrale, gleichmässig erleuchtete Zelle die ausgestellte Kunst von der Aussenwelt abschotten und in ihrer Autonomie bestärken sollte,(9) fokussiert die Arbeit von Boris Rebetez auf den Umgebungsraum und macht ihn zum Thema.
Sein Vorgehen, mit dem Kunstwerk auf dessen Präsentationsrahmen hinzuweisen, erinnert an die „in situ“-Arbeiten von Daniel Buren oder Michael Asher oder auch an die skulpturalen Interventionen von Heimo Zobernig. In seiner inhaltlichen Ausrichtung ist es jedoch nicht institutionskritisch zu verstehen. Die Eingriffe von Boris Rebetez entspringen vielmehr einem allgemeinen Interesse an phänomenologischen Fragen. Oft sind es Unregelmässigkeiten und Abweichungen, die zum Ausgangspunkt seiner künstlerischen Arbeit werden. Die für einen Ausstellungsraum ungewöhnlichen gestalterischen Elemente wie der vielfarbige Terrazzoboden, die optisch dominante Deckenstruktur und die Lamellenstoren werden in der Ausstellung in Solothurn nicht als Störung empfunden und neutralisiert, sondern werden mit der eingebauten Treppe und der Säule zu einer Einheit verbunden.(10) In ihrer Materialität, ihrer Grösse und Platzierung verschmilzt die skulpturale Arbeit mit dem Realraum. Sie weckt ihn gewissermassen auf und verbindet sich mit ihm zu einem fiktiven Raum, einem Raum zweiter Ordnung, der durch das Spiel der Bedeutungen bestimmt ist, das durch das Werk in Gang gebracht wird. Ein Foyer, ein weiträumiges Treppenhaus? Ein Durchgangsraum, den wir als tägliche Benutzerinnen und Benutzer von Architektur durchqueren, in dem wir uns jedoch nie länger aufhalten, den wir auch nie bewusst wahrnehmen? Die Installation ist im Raum so platziert, dass wir uns ihr nicht entziehen können. Sie sprengt gewissermassen sein Volumen und eröffnet Räume jenseits sichtbarer Begrenzungen. Aus rätselhaften Tiefen stösst die Treppe in den Raum vor, kommt uns entgegen, um dann in einer Vertikalbewegung nach oben, an einen nicht weniger geheimnisvollen Ort zu ziehen. Wir sind gezwungen, uns unter das eingebaute architektonische Element zu begeben, uns zu bücken, um in den anschliessenden Raum zu gelangen. Die körperliche Konfrontation mit dem skulpturalen Eingriff weckt ambivalente Gefühle: Die Architektur wirkt schwer; nicht ausgeleuchtete und in ihrer Funktion unbestimmte Zwischenräume wecken Erinnerungen an Unorte. Ist hier etwas geschehen, oder wird der fiktive Raum zur Bühne eines bevorstehenden Geschehens? Mit seiner Installation holt der Künstler ein Stück Alltagswelt in den Museumsraum und befragt Situationen, die wir meist nur unbewusst wahrnehmen. Wie andere installative Arbeiten von Boris Rebetez ist auch Grand Hall nur soweit ausformuliert, dass bestimmte räumliche Eindrücke evoziert werden. Seine Skulpturen sind keine „Fakes“, keine Imitationen von konkreten Situationen. In ihrer Modellhaftigkeit und Unbestimmtheit funktionieren sie als Andeutungen, die in ihrer Offenheit innere Bilder evozieren und Vorstellungsräume eröffnen.

Die Installation von Boris Rebetez erzeugt aus den formalen Aspekten des physischen Raums und allen atmosphärischen Elementen, die diesen Ort konstituieren, eine wirkungsvolle Ganzheit. Seine Intervention stellt sich dabei dem Vorhandenen nicht entgegen, im Gegenteil: Sie akzentuiert, verstärkt, konkretisiert, was im Raum bereits vorhanden war, ohne seinen Eingriff jedoch nicht sichtbar geworden wäre. Gerade deshalb wirken seine Installationen auf den ersten Blick minimalistisch und zurückhaltend, entfalten ihre Wirksamkeit jedoch umso überzeugender bei längerer Betrachtung. Zentrales Moment seiner Arbeiten ist dabei die Leere, die nicht im Sinne eines bedeutungslosen Zwischenraums verstanden wird, sondern am künstlerischen Prozess mitwirkt. „Oft genug erscheint (die Leere) nur als Mangel. Die Leere gilt dann als das Fehlen einer Ausfüllung von Hohl- und Zwischenräumen. Vermutlich ist jedoch die Leere gerade mit den Eigentümlichkeiten des Ortes verschwistert und darum kein Fehlen, sondern ein Hervorbringen. (...) Die Leere ist nicht nichts. Sie ist auch kein Mangel. In der plastischen Verkörperung spielt die Leere in der Weise des suchend-entwerfenden Stiftens von Orten“(11) . Was Martin Heidegger im Bezug auf die plastische Kunst beschreibt, charakterisiert auch die prozesshafte Artikulation der Arbeit von Boris Rebetez. Gerade weil die künstlerische Arbeit nicht abgeschlossen ist, sondern sich in ihrer Beziehung zum Umraum stets aufs Neue definiert, bedarf sie eines Betrachters, der diese produktive Interaktion in Gang bringt; der die Leere liest und als wirkungsvollen Akteur in den Entstehungsprozess miteinbezieht; der die Beziehungen zwischen dem Realraum und dem fiktiven Raum, zwischen Wirklichkeit und Artefakt herstellt. Diese Offenheit bedeutet auch, dass das Werk mit jeder Lektüre potentiell neu, anders gefügt werden kann. Wenn dies gelingt, fügt sich das Werk so konsequent in seinen Umraum ein, dass es verschwindet – das „Kunstwerk vor Ort“ verwandelt sich in einen „Ort des Kunstwerks“(12).


(1) Boris Rebetez bedient sich architektonischer Verfahren, um Räumlichkeit unmittelbar erfahrbar zu machen. Zur „Atmosphärischen Skulptur“ vgl. den Aufsatz von Philip Ursprung, „Blur, Monolith, Blob, Box. Atmosphären der ArchiSkulptur“, in: ArchiSkulptur. Dialoge zwischen Architektur und Plastik vom 18. Jahrhundert bis heute. Hrsg. von Markus Brüderlin/Fondation Beyeler. Ostfildern-Ruit, 2004, S. 42–47.
(2) Interview mit Felix Burrichter, in: PIN-UP, Magazine for architectural entertainment, Nr. 2, New York 2007, S. xx.
(3) In diesem Sinne führt Boris Rebetez weiter, was in den 60er Jahren im Umkreis der Minimal Art diskutiert wurde, so z.B. von Robert Morris in seinen Anmerkungen über Skulptur: „Die besseren Arbeiten nehmen die Beziehungen aus der Arbeit heraus und machen sie zu einer Funktion von Raum, Licht und Gesichtsfeld des Betrachters. Das Objekt ist nur eines der Elemente in der neueren Ästhetik. Auf gewisse Weise ist es reflexiver, weil das Bewusstsein, sich im selben Raum wie die Arbeit zu befinden, stärker ist als in älteren Werken mit ihren zahlreichen internen Beziehungen. Man ist sich stärker als früher dessen bewusst, dass man selber die Beziehungen herstellt, indem man das Objekt aus verschiedenen Positionen, unter wechselnden Lichtbedingungen und in unterschiedlichen räumlichen Zusammenhängen erfasst.“ „Anmerkungen über Skulptur, Teil 2“, in: Minimal Art. Eine kritische Retrospektive. Hrsg. von Gregor Stemmrich. Dresden/Basel, 1995, S. 100–109, hier 105. Erstabdruck in: Artforum, Vol. 5, No. 2, October 1966, S. 20–23.
(4) Der (räumliche) Schnitt ist eine einfache und effiziente Methode, um in Bestehendes einzugreifen. Er spielt im Schaffen von Boris Rebetez eine wichtige Rolle, nicht zuletzt auch in den Collagen, die seit den 90er Jahren entstehen.
(5) So z.B. in der Abbatiale de Bellelay, 2008, wo Suprême auf das reich dekorierte Interieur der Barockkirche bezogen war. (evt. Abb. Verweis statt Fussnote)
(6) Der aus der Sprachwissenschaft entlehnte Begriff „shifter“ (Verschieber) bezeichnet grammatische Einheiten, deren Bedeutung nicht ohne einen Bezug zur Mitteilung bestimmt werden kann, d.h. je nach Kontext ändert. Einfachstes Beispiel sind die Personalpronomen „du“ und „ich“, die im Laufe einer Unterhaltung, bei der Sprecher und Hörer wechseln, auf eine je andere Person verweisen. Vgl. Roman Jakobson, „Verschieber, Verbkategorien und das russische Verb“, in: Form und Sinn. München 1974, S. 37ff. und Friedrich Teja Bach, „Skulptur als ‚Shifter’: Zum Verhältnis von Skulptur und Architektur“, in: ArchiSkulptur. Dialoge zwischen Architektur und Plastik vom 18. Jahrhundert bis heute. Hrsg. von Markus Brüderlin/Fondation Beyeler. Ostfildern-Ruit, 2004, S. 35–41.
(7) Auch der Status von Malewitschs Architektona ist offen. Sie lassen sich als Skulpturen, als reine Reflexionsformen des Tektonischen oder als Modelle begreifen. Spannend ist in diesem Zusammenhang eine Collage, in der Malewitsch eine abfotografierte Zeichnung eines Architektons in eine Landschaft von Wolkenkratzern einfügt (Suprematistisches Gebäude inmitten amerikanischer Wolkenkratzer, 1926, abgebildet in malévitch. Œuvres de Casimir Severinovitch Malévitch (1878-1935). Hrsg. von Jean-Hubert Martin. Collections du Musée National d’Art Moderne, Centre Georges Pompidou, 1980, S. 24).
(8) Die ortsspezifischen Arbeiten von Boris Rebetez sind emphemer und bestehen nur für die Dauer der Ausstellung. Der fotografischen Aufnahme kommt deshalb ein Status zu, der an die Dialektik von „Site“ und „Non-Site“ erinnert. Ein Werkverständnis, das das Werk als produktive Interaktion von Objekt und Ort versteht, führt zur Herausbildung zweier Ebenen: einem ersten Ort der Intervention und einem zweiten Ort, der der Dokumentation, dem Bericht und der Kommunikation über den ersten Ort dient. Was für Konsequenzen die Formen künstlerischen Arbeitens, die unter Begriffen wie „Kontextkunst“ oder „Ortsspezifität“ subsumiert werden, für die Kunstgeschichte als beschreibende und dokumentierende Disziplin haben, beschreibt Peter J. Schneemann in „Mapping the site. Der Anspruch des Ortsspezifischen als Herausforderung für die kunsthistorische Dokumentation“, in: kritische berichte, 3, 2005, S. 64–76.
(9) Vgl. dazu Brian O’Doherty, Inside the white cube. The Ideology of the Gallery Space. Santa Monica/San Francisco, 1986 (dt. In der weissen Zelle. Inside the White Cube. Hrsg. von Wolfgang Kemp. Berlin, 1996)
(10) Das Kunstmuseum Solothurn wurde 1902 als Museum „der Kunst und Wissenschaft“ (so die Inschrift über dem Haupteingang) eröffnet. Die Parterre-Räume dienten bis in die 80er Jahre der Präsentation der naturhistorischen Sammlungen und waren nicht als Ausstellungsräume für Kunst konzipiert worden. Nach der Auslagerung dieser Bestände wurden die Räume umgestaltet, und 1983 konnte das Museum als Kunstmuseum wieder eröffnet werden. Die Geschichte des Museums sowie die verschiedenen Umbauten sind heute in den Ausstellungsräumen als Spuren lesbar.
(11) Martin Heidegger, Die Kunst und der Raum/L’art et l’espace. St. Gallen, 1969, S. 12.
(12) Moritz Küng, „Vom Verschwinden der Ausstellung. Über die Verortung des Werkes in Raum, Zeit und Kontext“, in: Kunstforum